Zugegebenermaßen bin ich da altmodischer Verfechter solcher Stücke am Ende eines Programms, denn sie breiten eine Facette der Geige aus, die eben doch auch zur Magie dieses schon so alten Instruments dazugehört: Wenn musikalischer Gedanke und dessen instrumentale Umsetzung einmal eine gleichberechtigte Allianz eingehen, wenn letzteres das Erste auch einmal überbieten darf an Attraktivität oder Brillanz und im nächsten Moment doch wieder nur die Musik singt… wenn – just for fun – (denn Spaß und Kunst liegen manchmal – Gott sei Dank – sehr nah beieinander) sehr einfache musikalische Dinge durch hoch komplizierte technische Verrücktheiten an Reiz gewinnen und so – vielleicht halb schmunzelnd – bestaunt werden.

Die Geige ist nun einmal das „überzüchtetste“ Saiteninstrument und muss mit dieser Rolle als virtuoser Vorreiter fertig werden. Die unglaublichsten Dinge sind mit ihr möglich: nicht nur ist sie schneller und höher und vordergründig emotioneller als alle anderen, nicht nur reicht ihr Klangbogen vom weichsten „Himmelbett“-Ansatz bis zum aberwitzig stacheligen staccato, nicht nur hat sie die vielfältigsten Klangmodulationsmöglichkeiten (die sich eben durch zwei voneinander unabhängigen „Tonproduzenten“ – linke und rechte Hand – nachgerade potenzieren) und bestätigt sie damit auch in meinem CD-Text ihren Ruf als „das Instrument, das der menschlichen Stimme am nächsten kommt“ (angeblich lernen große Sänger auch hin und wieder von großen Geigern, nicht nur umgekehrt), sondern ist auch ihr Potenzial an „mystischer“ Akustik kaum zu übertreffen: von heiser bis gellend, von nebulös huschend bis martialisch, von sul ponticello bis col legno battuto – und weit darüber hinaus –, die Ästethik des Geräuschhaften kann kaum schöner sein. Da manifestiert sich dann ihre diabolische, blitzende, geheimnisvolle Kraft.

Aber über all dem steht ihre größte Stärke: zwei Töne am schönsten und vielfältigsten miteinander zu verbinden. Spielt sich nicht die Musik so oft zwischen den Noten ab, da, wo man sie auf der Partitur nicht sieht, in der Strecke eines Intervalls?

All das wollen wir Geiger und unsere Zuhörer („what was that encore?“) immer wieder wissen. Und manchmal steigen wir dann in die virtuose Manege, und stellen fest: Zirkus ist nicht nur lustig, er kann auch sehr geistreich sein.

Nichts wären all diese Worte, hätte es nicht Komponisten und Geiger-Komponisten gegeben, die Musik und Violine auf die erstaunlichste Art zu verbinden wussten. Zum Beispiel Eugène Ysaÿe (1858–1931), der in Saint-Saëns’ gleichzeitig gesanglichen und virtuosen Walzerversuchen, die erst ein paar schüchterne Anläufe brauchen – und manchmal in der Luft hängen zu bleiben scheinen – um sich schließlich ihre Bahn zu brechen ins rauschhafte musikalische Drehmoment, sofort die geigerische Qualität erkannt hat und sie neben ständigen violinistischen Kunststücken auch mit subtilsten Klavier-Dialog ausstattet. Oder das Gespann Johannes Brahms (1833–1897) / Joseph Joachim (1831–1907): hier finden in den Ungarischen Tänzen die zahlreichen, unfassbar genialen musikalischen Einfälle (oder Einfühlungen in ein benachbartes Idiom – oder war es Erinnerungsvermögen?) ihren würdigen Geigen-Arrangeur. Darius Milhaud (1892–1974) ist mit seiner Cinema-Fantasie (sozusagen Hauptwerk dieser Kollektion – nicht nur wegen seiner Länge) weniger geigerisch, teilweise sogar sehr unangenehm (man wächst nicht unbedingt mit Nonen-Tonleitern auf), aber mit seinen herrlich bizarr überlagerten Harmonien (vergleichbar mit „outside playing“– im Jazz) eines meiner Lieblingsstücke. Neben viel origineller, schräger, südamerikanischer Volksmusik erscheint unter anderem eine unwiderstehlich nostalgische Endlosmelodie, die allein schon das Durchhalten der knapp 18 Minuten belohnt (im letzen Drittel nach der Kadenz von Arthur Honegger, die das Ganze, als ob es nicht schon schwer genug wäre – noch einmal virtuos übersteigert).
Die Carmen-Fantasie von Jenö Hubay (1858–1937) fängt dort an, wo die Oper fast schon wieder aufhört – ein ziemlich origineller Einfall, mit dem man sogar einem Sarasate die Show stehlen kann. Auch gibt es hier das herrlich prahlerische Escamillo-Lied (Track 8), man knödelt also mit Vergnügen einen Bass auf der Geige. Hubay (mit dem mich über Sandor Vegh ein direkte Schüler-Linie verbindet) geht auch mit dem Begriff “Fantasie“ freier um: es kommen ihm allerhand eigene Gedanken. Und beim Finale will er es noch einmal wissen: an Brillanz und Virtuosität ist das kaum zu überbieten.

Dann gibt es noch einen zweiten Walzer: ein „trister“ von Peter I. Tchaikovsky (1840–1893), der vor allem durch seine melancholische Einfachheit besticht, aufgehellt nur von einem zarten Mittelteil; aber gleich wieder zurückfallend in eine noch intimere Schüchternheit, um sich schließlich in der Coda aufzubäumen über drei riesige Oktaven…

Kongenial von Jascha Heifetz (1900–1987) für Violine und Klavier übersetzt sind George Gershwin’s (1898–1937) Three Preludes, die natürlich auch ihrer jazzigen Textur wegen zumeinen Lieblingsstücken gehören.

Mit dem Pianisten Miklos Skuta verbinden mich seit langem etwa gleich viele wunderbare Klassik- und Jazzerlebnisse. Seine Toccata ist eines der Stücke, die er in regelmäßigen Abständen für unser Duo geschrieben hat. Ich mag es, weil es reduzierte Rhapsodik mit Minimalismus und Improvisation verknüpft, und so ein packendes Bindeglied ist zwischen unseren notierten und improvisierten Erfahrungen.
Auf einer derartig violonistischen CD darf nun einerseits Paganini nicht wirklich fehlen, andererseits macht Cantabile seinem Namen die größte Ehre und erinnert uns daran, welch genialer Melodien-Erfinder dieser Prototyp des Virtuosen war.

Mit Antonio Bazzini’s (1818–1897) unvermeidlichem Ronde des Lutins fängt alles an – ich habe dafür zwei Erklärungen: erstens ist es nun einmal eine der besten und lustigsten Zugaben dieses Planeten und zweitens möchte ich gern beim „nachkonzertigen“ Signierender CDs eine häufige Frage: „Ist die letzte Zugabe da drauf?“ positiv beantworten können.

Benjamin Schmid